Mit anderen Augen
Februar 2020
Im Mai 2019 ist unser geburtshilfliches Team in die neuen Kreißsaal-Räumlichkeiten eingezogen. Nun galt es, sich neu einzugewöhnen. Als das Team Besuch von ghanaischen Hebammen bekommen hat, wurde die Dimension an Neuerungen für sie aber noch um ein Vielfaches übertroffen. Für sie waren bereits die alten Kreißsäle „der Himmel auf Erden“. Man kann sich ausmalen, wie unsere Gäste aus Ghana auf die neuen Räumlichkeiten reagiert haben…
Hebamme Sonja Liggett-Igelmund berichtet von dem Zusammentreffen zweier Kulturen in der Geburtshilfe des Severinsklösterchens:
Über die Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) im Programm „Klinikpartnerschaften“ habe ich ein Fortbildungsprojekt für ghanaische Hebammen konzipiert und hierfür eine Förderung erhalten. Diese Fortbildung erstreckte sich über zwei Jahre. Sie begann mit einem Workshop für 40 Teilnehmerinnen in Ghana – durchgeführt von zwei befreundeten Hebammen und mir. Drei von diesen 40 haben wir als Multiplikatorinnen ausgewählt. Sie durften nach Deutschland reisen, um das Erlernte zu vertiefen und auch in die Praxis hineinzuschnuppern. Thematisch ging es hierbei um Gebärhaltungen, passives Nachgeburtsmanagement bzw. Auspulsieren der Nabelschnur, die Reanimation des Neugeborenen und steriles Nähen von Geburtsverletzungen. Ziel war es, dass unsere Gast-Hebammen das in Deutschland Erlernte – zurück in Ghana – den restlichen Teilnehmerinnen mit eigenen Worten vermitteln.
Gesagt, getan – im Juni 2019 war es endlich soweit: Hebamme Annie hospitierte zehn Tage bei uns. Im Oktober folgten die Hebammen Sarah und Victoria ebenfalls für zehn Tage. Alle drei wurden vom gesamten Team sehr herzlich aufgenommen und bekamen die Möglichkeit, in viele Bereiche hineinzusehen. Auch wenn Englisch weder unsere noch die Muttersprache unserer ghanaischen Gäste ist, konnten sich beide Seiten gut miteinander verständigen.
Gleichzeitig bemerkten wir natürlich viele kulturelle Unterschiede: Beispielsweise sind ghanaische Begrüßungen recht lang und sehr höflich, wohingegen sich die Deutschen meist mit einem kurzen „Hallo, wie lange seid ihr schon da?“ zufriedengeben. Vornamen werden in Ghana niemals alleine genannt, da dies als unhöflich gilt. Es muss mindestens der Zusatz „Sister“ oder „Brother“ dem Vornamen vorangestellt werden – besser noch „Tante“ oder „Onkel“, gerne auch „Mama“ oder „Papa“. Alle drei Hebammen konnten für sich jedoch schnell akzeptieren, dass die deutsche Begrüßungsformel recht kurz ausfällt. Und das war erst der Anfang. Die Unterschiede in der Geburtshilfe würden mehrere Bücher füllen.
Die Tatsache, dass wir nach der Geburt nicht allen Frauen zehn internationale Einheiten Oxytocin intramuskulär, sondern nur nach Bedarf drei Einheiten geben, hingegen schwer zu verstehen, gilt dies in Ghana doch als völlig falsch. Außerdem sind Probleme, die uns oft schwer belasten, für sie nicht der Rede wert. Dafür ist alles andere einfach zu schön: Bettwäsche, die vom Krankenhaus gestellt wird, Medikamente, die immer vorrätig sind, Essen für Patienten u.v.m. gehörten für Annie, Sarah und Victoria zu unerreichbaren Träumen. Weitere Highlights waren das Beisein der werdenden Väter während der Geburt und – nicht zu vergessen – die Pommes aus unserer Kantine.
Zurück in Ghana haben wir dann gemeinsam die anderen Hebammen in ihren Einrichtungen besucht. Annie, Sarah und Victoria haben gemeinsam mit ihren ghanaischen Kolleginnen die Reanimation geübt und mit leuchtenden Augen von deutschen Geburten und Vätern erzählt. Alles in allem war es ein toller Austausch, der – Gott sein Dank – gerade noch rechtzeitig vor Corona stattfinden konnte!