Mit Interplast Germany nach Sierra Leone
Januar 2020
Katrin Rama ist eine unserer OP-Pflegerinnen im Severinsklösterchen. Bereits seit ihrem Examen zur Gesundheits- und Krankenpflegerin 2013 hatte sie den Wunsch, einmal im Ausland zu arbeiten. Von Anfang an stand dabei für sie fest: Es soll nicht Europa, sondern ein Land sein, in dem eine intakte medizinische Gesundheitsversorgung nur schwer zu gewährleisten ist. Dieses Jahr war es dann endlich soweit: Mit dem gemeinnützigen Verein „Interplast Germany e.V.“ konnte sie nach Sierra Leone reisen, um dort für zweieinhalb Wochen als OP-Schwester im Kenema Government Hospital zu arbeiten. Sie berichtet von ihrer Zeit in Westafrika:
Der pensionierte Kölner Unfallchirurg Hans Jürgen Arndt leitet das „Projekt Kenema“, das über die Interplast Sektion Eschweiler läuft, bereits seit vielen Jahren und reist zweimal im Jahr mit einem zehnköpfigen Team von Chirurgen, Anästhesisten, Anästhesie-Pflegern und OP-Pflegern nach Westafrika, um unfallchirurgisch-orthopädische und plastisch-handchirurgische Operationen durchzuführen. Die Vorbereitungen für unseren Einsatz begannen schon weit im Voraus: In gemeinsamen Team-Treffen gingen wir die Material-Listen durch, sichteten und listeten Instrumenten-Siebe und besprachen Formalitäten wie unser Visum und Gelbfieberimpfungen. Die Planung und Organisation des Einsatzes erfolgte über mehrere Monate.
Am 3. November 2019 machten wir uns schließlich als zehnköpfiges OP-Team aus dem Großraum Köln/Aachen – bestehend aus zwei Anästhesisten, einer Anästhesie-Pflege, zwei Chirurgen, zwei Assistenzärzten und drei OP-Schwestern – zusammen mit 20 Materialkoffern Gepäck auf den Weg nach Sierra Leone. Nach sechs Stunden Flugzeit landeten wir in der Hauptstadt Freetown. Am nächsten Morgen ging es mit drei Krankenwagentransportern viereinhalb Stunden über einen unasphaltierten Highway nach Kenema, einer Stadt im Osten des Landes mit etwa 200.000 Einwohnern. Dort angekommen wurden wir zu unserer Unterkunft gebracht: einem der beiden ortsansässigen Hotels.
Am nächsten Morgen fuhren wir zum Kenema Government Hospital, in dem wir die nächsten Wochen arbeiten würden. Vor Ort wurden wir von der Klinikleitung und dem Clinical Health Officer (CHO) Emmanuel Lordbrahams begrüßt. Anschließend führte uns die Oberschwester des Krankenhauses durch die einzelnen Abteilungen und wir bekamen einen ersten Einblick davon, unter welchen Bedingungen wir die nächsten Wochen arbeiten würden. Das Krankenhausgelände besteht aus mehreren Gebäudekomplexen. Hierzu zählen unter anderem Eye Clinic, Maternity Clinic, Childrens Ward and Surgical Ward, Labor, Leichenhalle und eine Blutbank. Danach wurden uns die zwei OP-Säle und die Station zur prä- und postoperativen Behandlung unserer Patienten, auf denen wir arbeiten würden, gezeigt. Bei unserer Tätigkeit auf Station, im OP und bei der Sterilisation unserer Instrumente unterstützten uns mehrere Mitarbeiter aus dem Haus.
Die ersten beiden Tage waren wir damit beschäftigt, die OP-Säle einzurichten, während das ärztliche Team Patientenscreenings durchführte. Da unser Einsatz im Vorfeld in Kenema und Umgebung via Radio angekündigt wurde, hatten wir viel zu tun: Unser ärztliches Team musste aus über 300 Patienten 60 auswählen, die wir während unseres Aufenthalts operieren konnten. Zudem erhielten wir Patienten über ein Krankenhaus der benachbarten Stadt (180 km entfernt) sowie der ortsansässigen Projekte „German Doctors“ und „Medicine San Frontieres“.
Nach zwei anstrengenden und langen Tagen, die auch dem Klima geschuldet waren, beendeten wir unsere Vorbereitungen, um am nächsten Tag mit der ersten Operation zu starten. Für die Plastiker stand in den nächsten Wochen vor allem die Behandlung von – für Afrika typischen – Verbrennungskontrakturen sowie großflächigen Wunden und größeren Weichteiltumoren an. Die Unfallchirurgen/Orthopäden kümmerten sich hingegen um alte, nicht-operierte Frakturen der großen Röhrenknochen, Pseudarthrosen, Osteomyelitiden und ältere Weichteilverletzungen. Das Altersspektrum unserer Patienten reichte dabei von einem zweijährigen Jungen mit Verbrennungskontraktur der Hand bis zu einem 72-Jährigen mit einer Osteomyelitis der Tibia.
Die nächsten Wochen operierten wir sechs Tage die Woche von 8:00 Uhr morgens bis 17:00 Uhr abends. Hinzu kamen die täglich mehr werdenden Verbandswechsel, die Wiederaufbereitung unserer Instrumente und die täglichen Visiten. Durch Strom- und Wasserausfälle mussten wir des Öfteren unsere Arbeitsabläufe neu organisieren und Operationen verschieben. Trotz der hohen Arbeitsbelastung waren wir jeden Tag motiviert, unser Bestes für die Patienten zu geben und ein möglichst zufriedenstellendes Behandlungsergebnis zu erzielen.
Aber natürlich haben wir nicht nur gearbeitet: An den zwei freien Tagen während unseres Einsatzes haben wir verschiedene Ausflüge gemacht und dadurch das Land und die Menschen besser kennengelernt. Einen Tag besuchten wir das „Medicine San Frontieres Childrens Hospital“, was im März diesen Jahres eröffnet hat. Der ärztliche Leiter der Einrichtung, ein deutscher Internist aus Münster, führte uns über das Krankenhausgelände und gab uns Einblicke in die Strukturen und Arbeitsabläufe. Den anderen Tag verbrachten wir mit unseren einheimischen Arbeitskollegen, indem wir zu einem Wasserfall wanderten und ein kleines Dorf in der Nähe besuchten. Dort veranstalteten wir ein Picknick, bei dem uns die zahlreichen Dorfkinder Gesellschaft leisteten.
Nachdem wir unser medizinisches Equipment eineinhalb Tage während des laufenden OP-Betriebs eingepackt und die OP-Säle in den Ausgangszustand zurückversetzt hatten, machten wir uns am 20. November schließlich auf unsere Rückreise nach Freetown. Die Nachsorge unserer Patienten übernahm der CHO Emmanuel, der uns in den nächsten Wochen und Monaten über die Behandlungsergebnisse und weiteren Behandlungsmaßnahmen unserer Patienten auf dem Laufenden halten würde.
Die zweieinhalb Wochen in Sierra Leone haben bei mir viele Eindrücke hinterlassen: zum einen die Bedingungen, unter denen wir gearbeitet haben, wie zum Beispiel Hitze, hohe Luftfeuchtigkeit, Stromausfälle, Wasserausfälle, nicht funktionierende Narkosegeräte, sterile Verbrauchmaterialknappheit, Medikamentenknappheit, unzumutbare Sanitäranlagen, Dreck sowie Ungeziefer im OP und zum anderen der Geruch nach in Formaldehyd gewaschenen Bauchtüchern, OP-Kitteln, Bereichskleidung und ungewaschener Körper, der von unseren Patienten ausging. Aber die tiefe Dankbarkeit unserer Patienten, einheimischen Kollegen und anderen Klinikmitarbeitern, die ich erfahren durfte, hat jeglichen Aufwand entschädigt. Unsere Arbeit hat rund 60 Patienten geholfen, ein halbwegs normales Leben zu führen.
Der Einsatz hat meine Sichtweise auf meine Arbeit grundlegend verändert. In Sierra Leone konnte ich das erste Mal erleben, was Medizin in seinem Kern bedeuteten kann. Unabhängig von Wirtschaftsfaktoren, die unsere Arbeit beeinflussen, konnten wir Menschen medizinische Hilfe zukommen lassen, die diese zum Überleben benötigen. Desweiteren habe ich für meine Arbeit in Deutschland gelernt, manche Dinge gelassener zu sehen, wenn sie im Moment unveränderbar erscheinen und mich mehr darauf zu konzentrieren, meine tägliche Arbeit mit einer positiven Einstellung zu beginnen und zu beenden. Mein Dank gilt der Pflegedienstleitung und Geschäftsführung, die meinen Einsatz unterstützt haben und mir dadurch die Möglichkeit gegeben haben, mich beruflich weiterzuentwickeln. Und wer weiß – vielleicht habe ich irgendwann noch einmal die Gelegenheit, an einem Einsatz von Interplast Germany e.V. teilzunehmen…