Auszubildende berichtet von Praxiseinsatz in Wien
September 2019
Jana Viertel ist eine unserer Auszubildenden im Bereich der Gesundheits- und Krankenpflege. Mit Unterstützung von Erasmus+ hatte sie die Möglichkeit, einen ihrer praktischen Einsätze im Ausland zu absolvieren. Vier Wochen lang hat die 21-Jährige in Wien gelebt und gearbeitet. Sie berichtet von ihrer Zeit in der österreichischen Hauptstadt:
Als ich vor einigen Wochen in Wien aus dem Flugzeug stieg, war alles neu für mich: eine neue Stadt, ein neuer Arbeitsplatz und eine neue Wohnung. Ich war aufgeregt, wie meine Zeit und vor allem meine Arbeit in Wien werden würden. Für einen kurzen Moment stellte ich mir die Frage, ob es die richtige Entscheidung war, alleine nach Wien zu fliegen. Dieser Gedanke verflog jedoch mit meiner Ankunft in der WG sofort wieder. Meine Mitbewohnerin nahm mich sehr gut auf und die Vorfreude auf meinen ersten Arbeitstag wuchs.
Am nächsten Morgen fuhr ich mit der Bahn durch ganz Wien bis ich vor dem Caritas Haus St. Martin – einer geriatrischen Einrichtung für psychisch erkrankte Menschen – stand. Hier leben 54 Bewohner zwischen 44 und 91 Jahren. Das Haus hat fünf Etagen und ist in zwei Bereiche aufgeteilt. Für jeden Bereich gibt es eine Bereichsleitung, die mit der Stationsleitung im Krankenhaus vergleichbar ist. Mit Ausnahme von fünf Doppelzimmern verfügt das Haus ausschließlich über Einzelzimmer, die durch die Bewohner sehr individuell gestaltet sind.
Vor Ort wurde ich von meiner Praxisanleiterin herzlich begrüßt. Nach der Übergabe zeigte sie mir die Räumlichkeiten und wir führten ein Erstgespräch. Bereits in diesem Gespräch wurden mir einige Unterschiede zur deutschen Pflege deutlich: So wird im Haus St. Martin nach dem sogenannten „Lebensqualitätskonzept“ gearbeitet, das aus acht Domänen besteht, die allesamt das Ziel eines „gutes Lebens“ anstreben. Der höchste Wert, der demnach zu einer hohen Lebensqualität führt, ist die Selbstbestimmung. Für den Alltag bedeutet dies, dass die Bewohner ein weitgehend selbstbestimmtes Leben führen. Sie dürfen das Haus verlassen, wann immer sie wollen. Unterstützung bei der Körperpflege wird angeboten, jedoch niemals aufgedrängt. Mir ist bewusst geworden, wie sehr der Krankenhausalltag im Vergleich dazu durch uns als Pflegende sowie die festen Abläufe geprägt wird.
Im Caritas Haus St. Martin arbeiten vier examinierte Pflegekräfte oder Pflegeassistenten im Tag- und zwei im Nachtdienst. Auf den ersten Blick erscheint das für 54 Bewohner zunächst sehr wenig. In der Realität ist dies jedoch ausreichend, da es neben uns Pflegekräften viele weitere Berufsgruppen gibt, wie z.B. die Alltagsmanager bzw. Heimhilfen, die für die Verpflegung und die Zimmerpflege zuständig sind. Hierzu zählen auch eine Sozialbegleiterin, die täglich Aktivitäten für die Bewohner anbietet, sowie zwei Psychologen, die mit den Bewohnern ausführliche Gespräche führen. Somit begrenzt sich das Aufgabenfeld für uns als Pflegekräfte auf wesentliche pflegerische Tätigkeiten, wie z.B. das Verabreichen von Medikamenten, den Verbandswechsel oder die Unterstützung bei der Körperpflege.
Ein weiterer Unterschied besteht darin, dass in Österreich im Zweischichtsystem gearbeitet wird. Das bedeutet, es gibt nur Tag- und Nachtdienste. Dementsprechend sind die Schichtzeiten deutlich länger; gleichzeitig hat man allerdings auch mehr Tage frei. Mit Arbeitszeiten von Montag bis Donnerstag zwischen sieben und achtzehn Uhr war mein Dienstplan sehr angenehm gestaltet, sodass ich viel Zeit hatte, um Wien zu erkunden. Neben den typischen Sehenswürdigkeiten der österreichischen Hauptstadt, wie dem Schloss Belvedere, dem Prater und der Donauinsel sowie einem Ausflug nach Bratislava fuhr ich mit einem Arbeitskollegen zum Kahlenberg, einem kleinen Berg am Stadtrand. Von dort hat man einen wunderschönen Blick über Wien. In besonderer Erinnerung wird mir auch ein Abend mit meiner Praxisanleiterin bleiben, an dem sie mich zum Essen einlud und ich ihre gesamte Familie kennenlernen durfte.
Mein gesamtes Umfeld – sowohl in der WG als auch auf der Arbeit – haben dazu beigetragen, dass die Zeit in Wien sehr kurzweilig war und ich mich von Anfang an wie zu Hause gefühlt habe. Nicht umsonst ertappte ich mich am Ende meiner Zeit im Haus St. Martin dabei, wie ich mich zwischenzeitlich bereits dem Wiener Dialekt angepasst hatte und den Mülleimer ganz selbstverständlich als „Mistkübel“ bezeichnete.
Für meine Tätigkeit als Gesundheits- und Krankenpflegerin durfte ich lernen, wie wichtig der soziale Aspekt innerhalb der Pflege ist. Er gehört genauso zu einer guten und gesamtheitlichen Pflege wie der körperliche Aspekt. Im Haus St. Martin konnte ich sehen, wie es möglich ist, hier ein ausgewogenes Verhältnis zu schaffen. Vielen Dank für diese tolle Erfahrung!